
RA-Betroffene erkranken fast doppelt so häufig an einer viralen oder bakteriellen Infektion wie Personen ohne RA. Unter Lupus-Betroffenen zählt die Ansteckung mit Viren und Bakterien zu den häufigsten Todesursachen. Und bei Menschen mit dem Sjögren-Syndrom oder einer Sklerodermie treten besonders häufig Lungeninfektionen auf. Angesichts des sich ausbreitenden neuen Coronavirus (SARS CoV-2) stellt sich die Frage nach dem zusätzlichen Risiko für Personen mit einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung.
Wir befragten Dr. med. Johannes Fröhlich, Oberarzt an der Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie am Inselspital in Bern zu den drei zusammenhängenden «I»: Infektionen, Immunsuppression und Impfungen.
Rheumaliga Schweiz: Menschen mit einer Autoimmunkrankheit sind anfälliger für Infektionen. Auch für das neue Coronavirus?
Dr. med. Johannes Fröhlich: Ja, wir müssen damit rechnen, dass SARS CoV-2 das Infektionsrisiko bei Menschen mit einer Autoimmunerkrankung steigern kann. Aktuell weiss man aber noch zu wenig über das Virus. Das macht eine zuverlässige Risikoabschätzung schwierig. So fehlen genaue Erkenntnisse über
- die Zeitdauer ab Infektion bis Ausbruch der Erkrankung (Inkubationszeit)
- die Zeitdauer der höchsten Ansteckungsfähigkeit (Infektiosität)
- den Zeitraum, in welchem eine erkrankte Person ansteckend ist
- den Verlauf der Erkrankung Covid-19
Bisherige Studien zum Infektionsrisiko bei autoimmunen Erkrankungen belegen ein bis zweifach erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten, z.B. Infektionen der Atemwege, aber auch die Schwere und der Verlauf der Erkrankung sind massiver.
Als Grund für eine erhöhte Infektionsanfälligkeit findet man überall zwei Faktoren genannt: 1. die Krankheit selber und 2. die medikamentöse Unterdrückung des Immunsystems. Wie sind diese zwei Faktoren zu gewichten?
Bei einer autoimmunen Erkrankung kommt es infolge einer Fehlsteuerung des Immunsystems zu einer Bekämpfung körpereigener Strukturen. Dadurch können Krankheitserreger deutlich später erkannt und weniger effizient bekämpft werden. Eine effiziente Abwehr setzt das harmonische Zusammenspiel unterschiedlicher Zellen und Botenstoffe des Immunsystems voraus, vergleichbar einem grossen Orchester. Dieses Zusammenspiel ist bei autoimmunen Erkrankungen gestört.
Andererseits unterdrücken Medikamente, welche zur Behandlung autoimmuner Erkrankungen eingesetzt werden, absichtlich das Immunsystem, um die überschiessende Fehlsteuerung zu korrigieren oder zumindest zu dämpfen. Dabei ist ein erhöhtes Infektionsrisiko in Kauf zu nehmen.
Die Erhöhung des Infektionsrisikos ist abhängig vom gewählten Arzneimittel, der Art und der Intensität der Erkrankung, aber auch von Begleiterkrankungen, welche das Risiko ebenfalls beeinflussen können. Manche Medikamente erhöhen das Infektionsrisiko kaum bis gar nicht, andere gehen deutlich mit einem höheren Risiko einher. Einige Medikamente sind dafür bekannt, ein höheres Risiko nur für ganz bestimmte Infektionskrankheiten zu haben. Über alle diese Zusammenhänge muss die Patientin oder der Patient informiert werden, damit im Ernstfall frühzeitig behandelt werden kann.
Ein starkes Immunsystem ist lebenswichtig. Was können autoimmunkranke Menschen tun, um es unter einer immunsuppressiven Therapie zu stärken?
Das Problem der autoimmunen Erkrankungen ist ein zu starkes, ein überschiessendes Immunsystem. Stärkt man es zusätzlich, besteht das Risiko einer vermehrten Aktivität der Grunderkrankung. So kann es sein, dass die Stärkung des Immunsystems einen Schub der Grunderkrankung auslöst. Dieses ist z.B. von Echinacea bekannt, welches gerne zur Stärkung des Immunsystems genutzt wird. Es kann bei Lupus-Betroffenen einen Schub auslösen.
Daher ist bei «immunstärkenden Mitteln» Vorsicht geboten. Es werden diesbezüglich sehr viele Präparate und Rezepte auf dem Markt angepriesen. Vor dem Beginn einer entsprechenden Kur sollte man seine Pläne unbedingt mit dem behandelnden Arzt besprechen.
Allgemein kann man sagen, dass eine ausgewogene Ernährung, moderater Sport und ausreichende Erholungszeiten gut für das Immunsystem und die Gesundheit sind.
Die SGR rät allen mit entzündlichem Rheuma zur saisonalen Grippeschutzimpfung. Wie sieht die Praxis aus? Wie überzeugen Sie «impfmüde» Patienten?
In erster Linie durch das eigene Vorbild! Und dann mit rationalen Argumenten. Das Risiko, sich mit dem Grippevirus (Influenza) anzustecken und daran zu erkranken, ist doppelt so hoch wie bei Gesunden. Auch die Schwere der Erkrankung und die Sterblichkeit sind ausgeprägter als bei Gesunden, welche an einer Influenza erkranken.
Gegen das häufig vorgebrachte Argument, dass die Impfung die Abwehrkräfte schwäche und man ausgerechnet in dem Jahr öfter krank gewesen sei, muss ebenfalls nüchtern argumentiert werden. Die Grippeimpfung schützt nicht vor grippalen Infekten, welche meistens harmlos verlaufen, sondern nur vor dem Influenzavirus.
Natürlich kann die Impfantwort unter einer immunsuppressiven Therapie schwächer ausfallen. Aber trotzdem ist dieser schwächere Schutz besser, als gar keinen zu haben.
Zweck einer Impfung ist die Immunisierung. Der Kontakt mit dem Impfstoff provoziert die Bildung von Antikörpern. Ist das nicht Stress für ein unterdrücktes Immunsystem?
Ja, in gewissem Masse ist die Impfantwort (d.h. die Bildung von Antikörpern gegen den spezifischen Erreger) ein Stress. Jedoch ein kontrollierter und «natürlicher» Stress. Das Immunsystem wird in Kontakt mit abgeschwächten Viren (Lebendimpfstoffen) oder einzelnen Bestandteilen von Viren (Totimpfstoffen) gebracht. Das gibt ihm die Möglichkeit und die Zeit, Antikörper zu bilden, welche genau diesen Erreger erkennen und seine Vernichtung einleiten. Kommt es später zu einer Infektion mit diesem Erreger, wird dieser sofort erkannt und vernichtet, bevor dieser eine Krankheit auslösen kann.
Die Erkrankung hingegen bedeutet einen ungleich höheren Stress für den Körper und kann, im Gegensatz zur Impfung, die Aktivität der autoimmunen Erkrankung verschlimmern.
Es wird Frühling, Rheumabetroffene schmieden Reisepläne. Welche Reiseimpfungen sind unbedenklich? Wovon raten Sie ab?
Wichtig ist der Unterschied zwischen Lebend- und Totimpfstoffen. Unter einer immunsuppressiven Therapie sollte man prinzipiell keine Impfungen mit Lebendimpfstoffen durchführen. Denn sie können die Krankheit (gegen die sie impfen) auslösen und diese sehr ausgeprägt verlaufen lassen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, unter denen gewisse Lebendimpfungen nach sorgfältigem Abwägen von Nutzen und Risiko verabreicht werden können.
Totimpfstoffe hingegen dürfen prinzipiell unter allen Immunsuppressiva eingesetzt werden. Dabei ist der Zeitpunkt der Impfung sehr wichtig. Denn die Impfantwort (d.h. die Bildung spezifischer Antikörper) kann zu einem ungünstigen Zeitpunkt vermindert sein oder ganz ausbleiben. Je nach dem Reiseziel darf man folgende Impfungen grundsätzlich empfehlen:
- Hepatitis A und B
- Typhus und Cholera (Achtung, nur Totimpfstoffe!)
- Influenza (Achtung, nur Totimpfstoffe!)
- FSME
- Tollwut (Achtung, nur Totimpfstoffe!)
Unterlassen werden sollten Impfungen gegen Gelbfieber, Masern-Mumps-Röteln und das Rotavirus. Auch der Influenza-Lebendimpfstoff darf immunsupprimierten Personen keinesfalls verabreicht werden. Das sind allgemeine Regeln. Unerlässlich ist im Einzelfall die Beratung.
Datum des Interviews: 24. Februar 2020
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