Vegan bei Rheuma?

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Vegan ist in aller Munde und interessiert auch Rheumabetroffene, von denen sich ohnehin schon viele vegetarisch ernähren. Von vegetarisch zu vegan (also von fleischlos zu rein pflanzlich) ist allerdings ein Schritt, der reiflich überlegt sein will. Was wären die Vorteile? Und ist der Veganismus frei von gesundheitlichen Risiken?

Wenn Sie mit einem veganen Upgrade liebäugeln, sollten Sie sich informieren und ein Verständnis dafür entwickeln, in welcher Form die vegane Ernährungsweise Entzündungen dämpfen oder schüren kann. Wir wünschen eine sättigende Lektüre!

[1] Was ist vegan?

Vegan ist eine Ernährung ganz ohne Produkte vom Tier. Zusätzlich zum populären Ovo-Lacto-Vegetarismus mit seinem Weglassen von Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten sind also auch Milch, Rahm, Butter, Käse und überhaupt alle Milchprodukte sowie Eier und Honig zu meiden.

Tabu sind ebenfalls Produkte, die Zusatzstoffe tierischen Ursprungs enthalten, wie zum Beispiel das Protein Gelatine, den Farbstoff E120 (Echtes Karmin) oder das Überzugs- und Trennmittel E904 (Schellack). Schellack und Echtes Karmin werden aus Schildläusen gewonnen, Gelatine aus dem Bindegewebe von Schweinen, Rindern oder anderen Tieren.

ErnährungTabus

ovo-lacto-vegetarisch

Fleisch
Fisch

ovo-vegetarisch

Fleisch
Fisch
Milch

lacto-vegetarisch

Fleisch
Fisch
Eier

vegan

Fleisch
Fisch
Milch
Eier
Honig
Zusatzstoffe tierischen Ursprungs

Vegan beschränkt sich nicht auf die Ernährung. Es ist ein ganzer Lebensstil mit dem Ziel, kein Tierleid zu verursachen oder zu unterstützen. Strenge Veganer und Veganerinnen tragen keine Kleidung aus Wolle, Leder, Seide, Daunen oder Pelz. Sie verwenden auch keine kosmetischen Produkte, die tierische Inhaltsstoffe enthalten oder für die Tierversuche durchgeführt wurden.

[2] Was sind die Vorzüge einer veganen Ernährung?

Die hauptsächliche Wirkung der veganen Ernährung liegt darin, vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu schützen.

Wie zahlreiche Untersuchungen zeigen, senkt eine streng pflanzliche Ernährungsweise diverse kardiovaskuläre Risikofaktoren wie hohe Cholesterin-, Triglycid- und Blutzuckerwerte, einen hohen Blutdruck sowie einen hohen Body-Mass-Index. Dies bekräftigt eine Meta-Analyse von vierzig Beobachtungsstudien, die zwischen 1960 und 2018 veröffentlicht wurden und an denen insgesamt 12'500 Veganer und 180'000 Mischköstler teilgenommen haben.1

Alle gesundheitlichen Vorzüge der veganen Ernährung dürften mit der Menge, der Qualität und der Vielfalt des Pflanzenkonsums zusammenhängen. Veganer nehmen ein mannigfaltiges Spektrum an sekundären Pflanzenstoffen zu sich und deutlich mehr pflanzliche Nahrungsfasern (Ballaststoffe) als die durchschnittliche Bevölkerung.

[3] Kann die vegane Ernährung Entzündungen hemmen?

Von einer veganen Ernährung kann eine entzündungshemmende Wirkung nur dann ausgehen, wenn natürliche, unverarbeitete Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte den Speisezettel dominieren.

Leider lassen sich viele Veganer von der Lebensmittelindustrie verführen und entwickeln eine übermässige Vorliebe für Chips, vegane Gebäcke, vegane Brotaufstriche und stark verarbeitete vegane Ersatzprodukte, die Fleisch, Fisch oder Käse imitieren.

Alle diese industriell-veganen Lebensmittel sind als entzündungsfördernd einzustufen, weil sie in der Regel viel Salz, viel Zucker, gesättigte Fette und diverse künstliche Zusatzstoffe enthalten. Allein in veganen Fischstäbchen stecken bis zu vierzig Zusatzstoffe.2

[4] Wer kann sich vegan ernähren?

Gemäss der Academy of Nutrition and Dietetics können sich alle Menschen in allen Lebensphasen vegan ernähren. Diese weltweit grösste Fachgesellschaft für Ernährung mit Sitz in Chicago stellte 2009 in einem Positionspapier fest, dass die vegane Ernährung bei guter Planung («well-planned») auch in der Schwangerschaft und der Stillzeit sowie im Säuglingsalter, in der Kindheit und der Jugendphase geeignet sei.3

Über die Eignung in allen Lebensphasen kann man diskutieren. So zeigen britische Untersuchungen, dass vegan ernährte Kinder häufig kleiner sind und auffallend niedrige Werte bestimmter Vitamine wie B2 und B12 aufweisen. In Frankreich ist es sogar strafbar, ein Kind vegan zu ernähren.4 Zu gross scheint das Risiko einer Unterversorgung.

Generell ist zu bedenken, dass die Menschheit mit einer veganen Ernährung noch wenige Erfahrungen gesammelt hat. Der Veganismus ist eine moderne Strömung. Zu seinen treibenden Kräfte zählen einzelne spirituelle Lehrer des 20. Jahrhunderts wie Sri Chinmoy (1931-2007) und vor allem gemeinnützige Organisationen wie die britische Vegan Society (gegründet 1944), die American Vegan Society (gegründet 1960) oder die Food for Life Global (gegründet 1995).

Das ist ein bedeutsamer Unterschied zu 2500 Jahren Vegetarismus, den man im westlichen Kulturkreis bis auf Pythagoras im alten Griechenland (6. Jh. v.C.) zurückführenn kann.

[5] Führt der Veganismus zu Proteinmängeln?

Eine ausgewogene vegane Ernährung sollte zu keiner Unterversorgung mit Proteinen führen. Es stehen viele pflanzliche Eiweissquellen zur Verfügung wie Tofu, Tempeh, Hülsenfrüchte, bestimmte Getreidesorten, Nüsse, Samen und Pilze.

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Trotzdem sind bei Personen, die sich streng vegan ernähren, immer wieder Proteinmängel feststellbar, auch in der Schweiz. Dies bestätigen Ernährungsberaterinnen mit vielen Jahren Berufserfahrung.

Vor allem sollten sich Veganer darüber im Klaren sein, wie wenig Protein sie über die stark beworbene Pflanzenmilch zu sich nehmen. Man denkt bei Milch reflexartig an Eiweiss, aber Pflanzenmilch ist eiweissarm! Ob Sojamilch, Mandelmilch, Hafermilch oder Reismilch, alle diese Milchersatzprodukte unterschreiten den Proteingehalt von Kuhmilch, Schafmilch oder Ziegenmilch und können diese punkto Proteinzufuhr nicht ersetzen.

Generell weiss man aus Studien, dass Veganer und Vegetarier durchschnittlich ein Drittel weniger Proteine als Mischköstler zu sich nehmen, aber damit immer noch über der empfohlenen Tagesmenge liegen.5 Allerdings ist niemand durchschnittlich: Je nach dem Gesundheitszustand und den Lebensanforderungen kann der individuelle Proteinbedarf deutlich von der Norm abweichen.

[6] Sollen Veganer Vitamin B12 supplementieren?

Eine Unterversorgung mit Vitamin B12 (Cyanocobalamin) gilt als das grösste Gesundheitsrisiko einer veganen Ernährung. Unser Körper braucht Vitamin B12 für unzählige alltägliche Funktionen. Zum Beispiel, um Gehirnzellen zu stärken, rote Blutkörperchen zu bilden oder als Helfer bei der Teilung und Differenzierung von Zellen.

Gleichzeitig ist der menschliche Körper so klug, grosse Vorräte an Vitamin B12 anzulegen, vor allem im Gehirn und in der Leber. Diese grossen Speicherkapazitäten und die lange Halbwertszeit von Vitamin B12 (über 350 Tage) schützen gegen das Auf und Ab der Vitamin-B12-Zufuhr und erklären auch, warum sich ein Mangel erst Jahre nach einer Umstellung auf vegan bemerkbar machen kann.6 Zu den Mangelzeichen zählen Erschöpfung, Stimmungsschwankungen, eine wunde Zunge oder ein Kribbeln in Armen und Beinen.

Unter den pflanzlichen Lebensmitteln gibt es nur wenige Quellen für Vitamin B12 wie Shitake-Pilze, gewisse Meeresalgen oder das traditionelle indonesische Fermentationsprodukt Tempeh. Sehr viel mehr Vitamin B12 enthalten Fleisch, Eier und Käse. Um die Gefahr einer Unterversorgung abzuwenden, wird Veganern allgemein empfohlen, Vitamin B12 zu supplementieren. Alle veganen Organisationen unterstützen diese Empfehlung.

[7] Sollen Veganer Eisen supplementieren?

Das Spurenelement Eisen ist als Bestandteil des roten Blutfarbstoffes (Hämoglobin) an der Sauerstoffverteilung, an der Blutbildung und vielen weiteren Stoffwechselprozessen beteiligt.

Gemäss einer 2018 veröffentlichten Meta-Analyse von dreissig Studien speichern erwachsene Vegetarier (vor allem Männer) in ihrem Körper deutlich weniger Eisen als die erwachsene Durchschnittsbevölkerung und riskieren darum einen Eisenmangel.7 Dieses Ergebnis darf man auf Veganer übertragen. Ob vegetarisch oder vegan, beide Ernährungsformen schliessen Fleisch als Eisenquelle aus und beschränken die Eisenzufuhr auf Pflanzen, vor allem Gemüse und Hülsenfrüchte.

Trotzdem empfehlen vegane Organisationen eine Eisen-Supplementierung nur bei einem ärztlich festgestellten Eisenmangel.

[8] Ist die vegane Ernährung natürlich?

Die vegane Ernährungsweise ist so natürlich, wie Sie sie im Alltag umsetzen! Je mehr vegane Ersatzprodukte auf den Teller kommen, desto weiter entfernen Sie sich von einer ausgewogenen, natürlichen Ernährung.

Veganes Hack oder vegane Steaks sind stark verarbeitete Produkte, die nicht von regionalen Kleinbetrieben, sondern von Lebensmittelkonzernen fabriziert werden. Sie enthalten alle mehr oder weniger künstliche Zusatzstoffe wie das Verdickungsmittel E461 (Methylcellulose).

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Lassen Sie uns dieses Beispiel kurz unter die Lupe nehmen: Methylcellulose wird in einem chemischen Verfahren aus Pflanzenfasern (Cellulose) gewonnen, die in der Baumwollindustrie anfallen. Dabei wird am Ende nicht deklariert, ob die Fasern von gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen stammen. Für die vielen Anwendungen in der Technik wie im Tapetenleim, in Baustoffen, Wandfarben, Textilfarben oder Reinigungsmitteln spielt das keine Rolle, wohl aber unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Ernährung. Die Lebensmittelindustrie verwendet die Methylcellulose gern und häufig zum Gelieren, Emulgieren, Verdicken und Stabilisieren. Der Zusatzstoff mag in üblichen Mengen keine direkten gesundheitlichen Auswirkungen haben, aber für den menschlichen Körper ist er unverwertbar. Er wird wie unverdauliche Nahrungsfasern ausgeschieden.

Bei häufigem Konsum industriell verarbeiteter Lebensmittel werden viele künstliche Zusatzstoffe aufgenommen. Jeder von ihnen kann die Bakteriengemeinschaft im menschlichen Darm (das Mikrobiom, die Darmflora) verändern. Wenn schlechte Bakterien überhandnehmen, entwickelt sich eine Dysbiose: die Grundlage für Stoffwechselstörungen einschliesslich entzündlicher Prozesse.

Aus diesem Grunde sollten Lebensmittel mit künstlichen Zusatzstoffen bei schweren chronischen Krankheiten generell gemieden werden.

Schliesslich kann man sich auch fragen, wie natürlich die Beschränkung auf einen rein pflanzlichen Speisezettel sei. Kein Naturvolk ernährt sich vegan. Und noch nie hatten so viele Menschen aus Ernährungsgründen künstliche Supplemente wie Vitamin B12 nötig.

Ernährungsberatung

Sich vegan zu ernähren, ist auch bei einer rheumatischen Erkrankung möglich. Die Rheumaliga Schweiz empfiehlt aber, sich bei Unsicherheiten professionell beraten zu lassen.

Anmerkungen

  1. Benatar JR, Stewart RAH (2018). Cardiometabolic risk factors in vegans; A meta-analysis of observational studies. PLOS ONE; 13(12): e0209086. Abrufbar über diesen Link. – Vgl. auch die 2023 veröffentlichte Studie mit 22 eineiigen Zwillingen (vegan/Mischkost): Landry MJ, Ward CP, Cunanan KM, et al. Cardiometabolic Effects of Omnivorous vs Vegan Diets in Identical Twins: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2023;6(11):e2344457. doi:10.1001/jamanetworkopen.2023.44457. Abrufbar über diesen Link.PDF zum Downloaden.
  2. Spector, Tim: Die Wahrheit über unser Essen. Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist. Köln 2022, S. 161.
  3. Craig WJ, Mangels AR; American Dietetic Association. Position of the American Dietetic Association: Vegetarian Diets. J Am Diet Assoc. 2009 Jul;109(7):1266-82. doi: 10.1016/j.jada.2009.05.027. PMsID: 19562864. Abrufbar über diesen Link.PDF zum Downloaden. (Die «American Dietetic Associtation» wurde 1917 gegründet; sie änderte 2012 ihren Namen zu «Academy of Nutrition and Dietetics».
  4. Spector, Tim: Die Wahrheit über unser Essen. Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist. Köln 2022, S. 160.
  5. Whitton C, Nicholson SK, Roberts C, et al. National Diet and Nutrition Survey: UK food consumption and nutrient intakes from the first year of the rolling programme and comparisons with previous surveys. British Journal of Nutrition. 2011;106(12):1899-1914. doi: 10.1017/S0007114511002340. Abrufbar über diesen PubMed-Link.
  6. Biesalski, Hans Konrad: Vitamine. Bausteine des Lebens. München 1997, S. 89-95.
  7. Haider LM, Schwingshackl L, Hoffmann G, Ekmekcioglu C. The effect of vegetarian diets on iron status in adults: A systematic review and meta-analysis. Crit Rev Food Sci Nutr. 2018 May 24;58(8):1359-1374. doi: 10.1080/10408398.2016.1259210. Epub 2017 Jul 5. PMID: 27880062. Abrufbar über diesen PubMed-Link.

Fachliche Prüfung: Sybille Binder, dipl. Ernährungsberaterin FH, Institut für integrative Naturheilkunde Nhk
Autor: Patrick Frei, Rheumaliga Schweiz
Veröffentlichung:
13. Februar 2024

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