«Ich lasse mich nicht einschränken»

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Ein Mitgliederporträt

Corinne Laciga ist Künstlerin, Fotografin, Grafik- und Webdesignerin. Gestaltung ist ihr Leben. Und so schöpft sie auch ihren gesamten Gestaltungsspielraum aus, wenn es darum geht, ihren Alltag mit Schmerzen zu leben. Eine Inspiration für Rheuma-Betroffene.

«Meine Freude am Leben werde ich ganz bestimmt nicht verlieren!» Corinne Laciga legt viel Selbstvertrauen und Enthusiasmus in diesen Satz. Ein verschmitztes Lächeln umspielt ihren Mund, ein Glänzen liegt in ihren Augen. So, als wolle sie das Gegenüber – nein, die ganze Welt! – freundlich herausfordern. Seit bald 19 Jahren lebt Corinne Laciga mit chronischen Schmerzen.

Im Hebst 2005, Corinne ist gerade mal 20 Jahre alt, ist sie im Auto unterwegs auf der Transit-Achse, die sie mitten durch die Stadt Zürich führt. An einer Kreuzung – sie hat es im letzten Moment im Augenwinkel kommen sehen – fährt ein Autofahrer ihr in die Seite. Besonders schnell ist er nicht unterwegs, dafür umso schneller wieder fort: Fahrerflucht. Corinne kann seine Kennzahlen gerade noch notieren, bevor sie ohnmächtig wird. Kurz nach dem Unfall fühlt sich alles rund um ihren Nacken und Schultergürtel an «wie Beton», sagt Corinne. Mehrere Wirbel sind verschoben, ein Schleudertrauma wird diagnostiziert.

Lange versucht Corinne herauszufinden, was ihr helfen und wie sie die Schmerzen loswerden könnte. Sie findet Mittel und Wege, um mit den Schmerzen zu leben. Los wird sie diese nie ganz.

Diagnose: Weichteilrheuma

Erst 2020, vor wenigen Jahren, erhielt die heute 54-Jährige die Diagnose Weichteilrheuma. «Schon lange ertrug ich Kälte und Druck sehr schlecht», erzählt Corinne. Während einer Shiatsu-Therapie-Sitzung zeigte sich, wie ihr gesamter Körper auf minimalen Druck reagierte. «Alle Muskeln an meinem Körper verkrampften sich sofort. Dabei war die Berührung sanft. Da kam erstmals der Verdacht auf, ich könnte Weichteilrheuma entwickelt haben.» Dem Rheumatologen, der sie daraufhin abklärte, war sehr schnell klar: Der Verdacht stimmt. Für Corinne war die Diagnose eine Erleichterung. «Sie half mir, neue Impulse zu erhalten, wie ich meine Beschwerden lindern kann», sagt die Künstlerin. Sie nimmt das Zepter gerne in die Hand. Auf die Einschränkungen angesprochen, sagt sie: «Ja, es ist so: Ich habe keine Kontrolle über meinen Körper und kann darum nicht gut planen. Das ist das Schwierigste. Schwieriger als die Schmerzen selbst. Aber ich will mich nicht limitieren lassen. Das wollte ich nie.»

Seit ihrem Schleudertrauma begleiten Corinne Schmerzen, und manchmal werden diese so gross, dass sie in Ohnmacht fällt. «Das kam früher relativ oft vor. Heute passiert es mir seltener, weil ich gelernt habe, meine Körper-Signale zu lesen», sagt Corinne. Hin und wieder verliert sie immer noch das Bewusstsein. Das und die plötzliche, tiefe Erschöpfung, die sie manchmal überfällt, prägen ihre Tagesplanung. «Jeden Morgen muss ich neu erkunden, wieviel Energie mir heute zur Verfügung steht. Manchmal kann ich viel erledigen und fühle mich fit. Und manchmal kann ich mich kaum bewegen. Dann versuche ich mich darauf zu konzentrieren, dass morgen ein neuer Tag sein wird, der die Chance bringt, mich besser zu fühlen, und gehe einfach Stück für Stück durch dieses Tief hindurch.» Sogar das erzählt Corinne mit einem Lächeln im Gesicht. Ein ruhiges Lächeln, das zu sagen scheint: «So ist das eben. Und ich bin froh um alles, was geht.»

«Es ist nichts vorbei nach einer Diagnose»

Als Fotografin und Grafikerin arbeitet Corinne Laciga frei und weiss, wie sie ihre Kräfte einteilen muss. Zu Shootings bringt sie meist einen Assistenten mit, der so gut eingeführt ist, dass er notfalls übernehmen kann. Und wenn sie von ihrem Homeoffice aus an Aufträgen arbeitet, dann koordiniert sie diese so, dass ihr genügend Zeit bis zur Abgabe bleibt. Mehr als drei Stunden Arbeit pro Tag liegen selten drin.

Es gibt Tage, an denen ist der Schmerz so gross, dass ich mich nicht einmal hinlegen kann, weil mein Rücken das nicht zulässt. Ich kenne zum Glück Akupressur-Punkte, die meine Schmerzen und Verspannung lindern. So komme ich besser durch solche Tage.
Corinne Laciga

Dass Corinne der Welt mit diesem herausfordernden Lächeln, mit diesem freundlichen Kampfgeist begegnet, hat viel, aber nicht allein mit ihrem Charakter und ihrer Geschichte zu tun. Sie möchte auch andere ermutigen und insbesondere Rheuma-Betroffene aus der Reserve locken und darin bestärken, ihren ganz eigenen Weg zu finden. «Es ist so wichtig zu wissen: Es ist nichts vorbei nach einer Diagnose! Es geht weiter. Anders vielleicht als zuvor, und anders, als man es sich gewünscht hätte, aber immer noch gut.»

Corinne Laciga sagt das nicht leichtfertig. «Als ich realisierte, dass meine Schmerzen nicht weggehen würden und ich einen Weg finden muss, um mit ihnen zu leben, war das wahnsinnig hart.» Sie hatte bereits einen steinigen Weg hinter sich. «Lange hatte ich die Vorstellung, dass ich wieder gesund werden und schmerzfrei leben würde. Dafür kämpfte ich. Nicht dafür, mit dem Schmerz zu leben.» Aber irgendwann habe sie einsehen müssen, dass diese Vorstellung entweder nie oder erst in einer sehr fernen Zukunft eintreffen würde. Von da an änderte sie ihren Fokus und konzentrierte sich darauf, wie sie möglichst gut mit ihren Beschwerden leben könnte. «Ich machte das nicht nur für mich, ich tat es auch für mein Umfeld», sagt die Künstlerin. Für die Menschen, die ihr nahestehen, war die Situation in den ersten Jahren schwierig. «Wenn du jemanden, den du liebst, immer in diesen Schmerzen erlebst, macht dir das zu schaffen. Du kannst nicht helfen, du bist dem genauso ausgeliefert wie die betroffene Person. Zeitweise hatte ich den Eindruck, meine Nahestehenden litten noch mehr unter der Situation als ich.» Auch ihnen zuliebe wollte Corinne Zuversicht gewinnen.

Auf den Körper hören
Sie lernte sich immer besser kennen und hörte auf ihren Körper, um herauszufinden, was er braucht. «Ich begann zum Beispiel, mich zu fragen: Warum wurde ich heute ohnmächtig, während es mir gestern ziemlich gut ging? Ich beobachtete genau, was gestern anders war als heute und zog meine Schlüsse daraus. Heute bin ich dankbar dafür, dass ich das gelernt habe. Ich muss täglich meinen Körper lesen und auf seine Bedürfnisse reagieren», so Corinne.

Sie fand auch heraus, dass ihr sanfte Therapien besser tun als beispielsweise Physiotherapie oder Massage. «Auch wenn Physiotherapie grundsätzlich gut ist – mein Körper verträgt sie nicht. Das muss jede Person für sich herausfinden, jeder Körper reagiert anders.» Corinne half die Craniosacraltherapie und später entdeckte sie das Jin Shin Do für sich, eine spezifische Akupressur-Methode, deren Technik sie in einer Ausbildung gelernt hat und die sie inzwischen vor allem im Nackenbereich bei sich selbst anwendet.

Die grösste Herausforderung ist, täglich den Schmerz auf die Seite zu schieben. Aber auch zu spüren, wie hoch mein aktuelles Energie-Level ist. Das ändert von Tag zu Tag.
Corinne Laciga

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Auch ihre Ernährung passte Corinne im Laufe der Jahre an, indem sie erspürte, was ihrem Körper guttut. Insbesondere die Weichteilrheuma-Diagnose gab ihr wichtige Impulse in Sachen Ernährung, sagt sie. «Von der Rheumaliga Zürich, Zug und Aargau erfuhr ich, dass ich die professionelle Ernährungsberatung in Anspruch nehmen kann.» Ihr drittes «Wundermittel», wie Corinne sagt, ist ihre mobile Infrarot-Sitzsauna. «Die Kälte macht meinem Körper sehr zu schaffen.» An kalten oder regnerischen Tagen setze sie sich darum bis zu fünfmal in ihre kleine Sauna. «Die Tiefenwärme entspannt die Muskulatur und geht direkt in meine Knochen.»

Das Umfeld einbeziehen
Was Corinne ebenfalls hilft, ist ein unterstützendes soziales Umfeld. Dieses kennt Corinnes Herausforderungen und sie kann sich auf die Menschen verlassen. Sie betont allerdings: «Hilfe holen muss ich mir selber. Wenn ich Unterstützung brauche, dann bitte ich meine Familie, Freundinnen und Nachbarn darum.» Das hat Corinne gelernt – und sie hat auch gelernt zu besprechen, wie sie und ihr Umfeld mit ihrer Erkrankung umgehen wollen. «Ich mag es nicht, wenn man mich ständig auf meine Schmerzen anspricht», sagt sie. «Ich versuche den ganzen Tag, nicht an den Schmerz zu denken und mich auf das zu konzentrieren, was gut ist. Sobald sich jemand nach meinen Schmerzen erkundigt, bin ich direkt wieder drin im Schmerz, den ich mit so viel Mühe wegzuschieben versucht habe.» Sie begann, in solchen Situationen sehr klar zu kommunizieren und sagte: «Wir wissen jetzt, dass ich chronische Schmerzen habe. Ich versuche, damit durch den Tag zu kommen und mein Leben nicht von ihnen bestimmen zu lassen. Ich bin nicht mein Schmerz und will nicht darauf reduziert werden, ich bin in erster Linie Corinne.» Das fanden die meisten Menschen in ihrem Umfeld nachvollziehbar und wohl auch entlastend. Gemeinsam fanden sie einen Mittelweg. Wenn Corinne darum bittet, ist ihr Umfeld für sie da – mit Taten oder einem offenen Ohr. Ansonsten verhalten sich alle so, wie sie sich auch ohne Corinnes Einschränkungen verhalten würden.

Als Betroffene dieser Beeinträchtigung muss ich meine Nahestehenden informieren und ihnen soweit möglich ihre Sorgen nehmen. Aber auch um Hilfe bitten, wenn ich Hilfe brauche. Das mache ich konsequent.
Corinne Laciga

Als jemand, die über viele Jahre hinweg lernen musste, mit Beschwerden zu leben und einen Umgang zu finden, die mit wachsender Erfahrung lernte, wie sie ihr Leben, ihre Arbeit und das Zusammenleben mit ihren Liebsten gestalten kann, will Corinne anderen Betroffenen Mut machen. Genau wie das die Mitarbeitenden der Rheumaliga Zürich, Zug und Aargau tun. «Diese sind sehr verständnisvoll und haben gute Ideen und tolle Hilfsmittel. Es gefällt mir, wie sie die Menschen in ihrer Selbständigkeit bestärken und unterstützen», sagt Corinne. Denn das sei in ihren Augen das Ziel: Das eigene Leben in die Hand zu nehmen und zu merken, dass man es auch gut mit dieser Krankheit gestalten kann. «Man muss einfach herausfinden, wie – und das braucht Zeit und ganz viel Geduld.»

Text und Bilder: Elena Ibello