Leben mit Arthrose und Gicht: «Meine Therapie ist, mich nicht unterkriegen zu lassen»

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Ruedi Lehner

«Das ist mein Schutzengel», sagt Ruedi Lehner. Über den Rand seiner Brille hinweg mustert er das steinerne Antlitz der mannshohen Skulptur. Gefertigt wurde sie in einer Institution für schwer erziehbare Jugendliche, aus Schwemmholz, Stahlblech und Stein. Der Fotograf berührt die Flügel seines stummen Freundes. Fast schon andächtig gleiten seine gekrümmten Finger über den rostigen Stahl. Es gibt Tage, an denen er seine Fingergelenke nicht biegen kann. An anderen erschweren ihm seine Knie das Gehen.

Ruedi Lehner in seinem Garten.
Persönlicher Schutzengel: Ruedi Lehner mit seiner Skulptur aus Schwemmholz.

Qualvoll sind auch die Zeiten, in denen seine Füsse schmerzen und die Schulter streikt. Diese Beschwerden würden sich natürlich nicht einfach abwechseln, sondern in verschiedenen Kombinationen gleichzeitig auftreten, erklärt Lehner. Die Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht weicht sogleich einem verschmitzten Lächeln: «Meint das kleine Monster es könne mir das Leben schwer machen? Nein, nein, ich mache es ihm schwer.»

Arthrose und Gicht

Eigentlich sind es zwei «kleine Monster», die Ruedi Lehner seit mehr als einem Jahrzehnt immer wieder auflauern: Gicht und Arthrose. «Angefangen hat es damit, dass ich meine Finger nicht mehr richtig biegen konnte. Ich habe auch Kraft verloren in den Händen.» Aufgrund der Krümmung des linken kleinen Fingers äusserte sein Arzt die Vermutung, es könnte sich um Gicht handeln. Das Röntgenbild offenbarte dann aber einen alten Bruch, der nicht bemerkt worden und schlecht ausgeheilt war. Gleichzeitig zeigten sich aber auch Verknorpelungen an den Gelenken. Weitere Untersuchungen bestätigten dann die Vermutung des Arztes.

Kurz darauf konfrontierte dieser seinen Patienten zusätzlich mit der Diagnose Arthrose. Aufgrund der massiven Probleme an der Achillessehne überwies er Lehner zudem an einen Orthopäden, der ihm Spezialschuhe verordnete. Jetzt hatten die «Monster» also Namen und der Rheumapatient erhielt Kortison und Schmerzmittel, um sie in Schach zu halten.

Etwas Fleisch muss sein

Ruedi Lehner zeigt seine Gurkenpflanzen.
Ruedi Lehner begutachtet seine Gurkenpflanzen.

«Ich bin ein aufgestellter Mensch und sage mir: Was ich nicht ändern kann, akzeptiere ich und mache das Beste daraus.» Ruedi Lehner betrachtet liebevoll seine Gurkenpflanzen. Noch tragen sie keine Früchte. Aber aus der letztjährigen Ernte hat der gelernte Koch 120 Gläser eingemacht. Auch wenn er seinen ursprünglichen Beruf aus gesundheitlichen Gründen an den Nagel hängen musste, spielen Kochen und Essen nach wie vor eine wichtige Rolle in seinem Leben.

Seine Ernährung hat er aber trotz der Diagnose Gicht nicht radikal umgestellt. «Ich bin und bleibe ein Fleisch-Moudi», gesteht der gebürtige Berner. Dennoch hat er seinen Konsum reduziert: «Heute essen meine Partnerin und ich noch etwa dreimal in der Woche Fleisch, je nachdem einmal Fisch und die restlichen Tage fleischlos. Ob sich dadurch an meinen Gelenken etwas ändert, weiss ich nicht. Ich merke aber, dass sich mein Gewicht normalisiert.» 140 Kilogramm brachte Ruedi Lehner früher auf die Waage. Innerhalb von drei Jahren hat er stolze 45 Kilogramm abgenommen und nähert sich nun seinem Idealgewicht, wie er selber sagt.

Mindestens 6000 Schritte pro Tag

Ruedi Lehner fotografiert seine Steinnelken im Garten.
Die Kamera ist stets dabei, denn Fotografieren ist etwas, was er trotz Einschränkungen noch immer kann.

Diesen Erfolg verdankt er auch seinem eisernen Willen, sich regelmässig zu bewegen, selbst wenn er sich dazu zwingen muss. Zuerst waren es 3000 Schritte, also rund eine halbe Stunde pro Tag. Mittlerweile sind es eine bis drei Stunden. «Ich schaffe es noch, fragen Sie mich nicht wie, aber es geht. Wenn die Schmerzen zu stark sind, nehme ich unterwegs eine Schmerztablette.» Aber nicht nur beim Wandern oder Velofahren spürt Ruedi Lehner die Einschränkungen durch seine Krankheiten. Auch verschiedene Alltagstätigkeiten sind schwierig und schmerzhaft: «Mir fällt vieles aus den Händen und ich habe Mühe beim Öffnen von Schraubverschlüssen. Zehennägelschneiden ist eine regelrechte Tortur wegen dem Knie.» Zudem schränken ihn die Schulterbeschwerden beim Hochheben ein.

Doch Ruedi Lehner wäre nicht Ruedi Lehner, wenn er dem nachtrauern würde, was nicht mehr geht: «Ich kann immer noch Fotografieren», sagt er und liefert auch gleich den Beweis indem er die pinken Steinnelken auf die Speicherkarte seiner Digitalkamera bannt. Obwohl er das Pensionsalter bereits überschritten hat, betreut er noch immer eine Handvoll Kunden. «Ein selbstständiger Fotograf hat zu wenig verdient, um sich pensionieren zu lassen», schmunzelt Lehner.

Therapieunterstützung auf vier Pfoten

Seit fast vier Jahren lebt er mit seiner Partnerin in deren Elternhaus in Sursee. In die Pflege der Pflanzen, die auf der Terrasse und im Garten gedeihen, steckt Ruedi Lehner sein ganzes Herzblut: «Ich erhalte sehr viel Lob, aber es steckt auch viel Arbeit dahinter». Arbeit, die ihm aber auch gut tut. Sie ist Teil seines ganz eigenen Therapieplans. Dazu gehört natürlich auch die Bewegung und seit etwa zweieinhalb Jahren der Mischlingsrüde «Zimbra». Als «Pate» betreut er den Hund seiner Schwägerin jeweils am Donnerstag. Er sei sein Therapiehund geworden, denn die Begleitung des Vierbeiners machten die Spaziergänge zu etwas ganz besonderem.

Ohne Medikamente kommt Ruedi Lehner aber nicht aus. Wenn seine Hände und Handgelenke geschwollen sind und er die Finger nicht mehr biegen kann, dann weiss er, dass er seinem Körper mit etwas Kortison Linderung verschaffen muss. Meist reicht bereits ein Viertel der normalen Dosis. «Mein Arzt sagt, ich hätte Glück, dass ich auf den Wirkstoff gut anspreche. Es gibt Menschen, die müssen jeden Tag Kortison nehmen.» Für den leidenschaftlichen Wanderer bleibt das Medikament für den Notfall reserviert. Daneben nimmt er nach Bedarf das Schmerzmittel Spiralgin. Auch das Salben und einbinden der Gelenke, die nicht mehr reibungslos funktionieren, hilft ihm. Dabei schwört er auf Pferdesalbe.

«Ich habe keinen Grund, zu jammern»

«Meine wirksamste Therapie aber ist, mich nicht unterkriegen zu lassen», sagt Ruedi Lehner. Er blickt am mächtigen Kandelaber hoch, der wie ein Wahrzeichen aus der Wiese ragt, und zurrt ein Seil fester. Schon klettert die Wimpelkette flatternd ganz nach oben, wo bereits drei Fahnen hängen. «Solange ich noch laufen kann, keinen Rollstuhl brauche, geht es mir gut. Ich habe also keinen Grund, zu jammern», erklärt Ruedi Lehner bestimmt und betrachtet zufrieden, wie die Fahnen mit dem Wind tanzen.

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