Rheumaliga Schweiz: Welche konservativen Therapiemöglichkeiten bietet die moderne Medizin Arthrose-Betroffenen?
Lukas Wildi: Die etablierte Arthrosetherapie besteht neben Bewegung aus Schmerzmitteln in Form von Salben, Pflastern und Tabletten. Schmerzen und Muskelschwäche sowie schwaches Bindegewebe um das Gelenk herum werden mit Physio- und Ergotherapie behandelt. Daneben ist die ausreichende Zufuhr der nötigen Nährstoffe und Vitamine essentiell, d.h. ausreichend Calcium und Vitamin D für die Knochen, Vitamin C und Eiweiss für das Bindegewebe.
Bei Entzündungszuständen in der Spätphase der Arthrose mit Schwellungs- und Überwärmungszuständen können Cortisonspritzen direkt ins Gelenk eine sehr gute, wenn auch nur über wenige Wochen anhaltende Linderung bringen. Bei häufigem Einsatz, d.h. mehr als dreimal pro Jahr, hat Cortison aber eine knorpelschädigende Wirkung.
In den frühen Phasen der Arthrose bewähren sich Hyaluronsäurespritzen und seit kürzerem auch Eigenblutspritzen in Form von Platelet-Rich-Plasma (PRP). Beide Formen zeigen einen nachhaltigen Effekt, der länger anhält als der von Cortison, sich aber nicht knorpelschädigend auswirkt. Bei beiden Therapien handelt es sich leider nicht um Pflichtleistungen der Krankenkasse.
Wie sieht es bei den operativen Verfahren aus?
Vor dem Gelenkersatz als therapeutische Endstrecke können Umstellungsosteotomien (ein oder mehrere Knochen werden gezielt durchtrennt und leicht verändert wieder zusammengesetzt) die Symptome über einige Jahre zurückdrängen, bis die Gelenksprothese dann doch nötig wird. Man gewinnt damit wertvolle Zeit, da die Lebensdauer eines Kunstgelenks immer noch auf ca. 15 Jahre begrenzt und jede Verzögerung bei jungen Patienten erwünscht ist. Bei der Umstellungsosteotomie wird das Gewicht vom abgenutzten Gelenksanteil auf noch gesundes Areal verlegt. Es findet dabei auch eine Erholung des geschädigten Bereichs statt, wenn auch nicht vollständig.
Eine Erholung der Knorpelschicht über mehrere Jahre verspricht auch die neue Methode der Kniegelenkdistraktion. Mittels Metallgestell, das durch die Haut im Knochen verankert wird, werden die Gelenkflächen über 6 bis 8 Wochen getrennt. Das System erlaubt ein Gehen, wobei bei jedem Schritt durch ein Federelement Druckschwankungen hervorgerufen werden, die die Regeneration stimulieren. Die Methode wurde in Holland entwickelt und wird dort regelmässig durchgeführt, in der Schweiz hat sie noch nicht Fuss gefasst. Sie ist wegen des Komplikationsrisikos nur jungen Patienten vorbehalten.
In welchem Fall würden Sie einem Patienten zum Gelenkersatz raten?
Wenn sämtliche konservative Methoden ausgeschöpft, die Schmerzen unerträglich und nicht anders zu kontrollieren sind, klar vom betroffenen Gelenk ausgehen und nicht etwa vom Rücken ausstrahlen. Oder wenn das Gelenk seine Funktion so weit verloren hat, dass die Alltagstätigkeiten eingeschränkt sind.
Den meisten Arthrose-Patienten ist wegen der Schmerzen eher nach Schonung zumute. Wieso ist Bewegung trotzdem wichtig?
Die verschiedenen Gewebe des Gelenks sind entweder schlecht oder gar nicht durchblutet. Die Versorgung muss also über Diffusion stattfinden. Das heisst, die in der Gelenkflüssigkeit gelösten Nährstoffe gelangen durch die Bewegung des Gelenks in den Knorpel. Die Versorgung findet also besser statt, wenn das Gelenk regelmässig, moderat und in vollem Bewegungsumfang belastet wird. Die Schadstoffe werden dabei abtransportiert und frische Nährstoffe und Sauerstoff gelangen ins Gelenk. Das ist essentiell für den Erhalt des verbleibenden Gewebes und für die Erholung von leichten Abnutzungen.
Welche Art von Bewegung empfehlen Sie?
Regelmässige Bewegung ohne Überlastung. Wichtig sind Dehnübungen und das Ausschöpfen des gesamten Bewegungsumfangs. Ideal sind runde Bewegungen ohne Schläge, z.B. beim Schwimmen (v.a. Crawl) oder Velofahren, leichtes Joggen ist aber ebenfalls möglich. Dabei sollte der Bogen nicht überspannt werden. Treten nach der körperlichen Aktivität länger anhaltende Reizzustände auf, war es zu viel.
Welche Rolle spielt die Ernährung innerhalb der Therapie?
Eine gesunde, ausgewogene Ernährung Typ mediterrane Kost ist Grundlage für ein gutes Funktionieren des ganzen Körpers. Ungesättigte Fettsäuren hemmen dabei die Entwicklung gewisser Entzündungsfaktoren und können eine Effektivität von leichten Schmerzmitteln erreichen. Die ausgewogene Ernährung ist auch Grundlage für ein normales Körpergewicht. Denn jedes Kilogramm zu viel wird zur Belastung, wenn Gelenke schmerzen.
Lange Zeit ging man davon aus, dass der Knorpel bei Arthrose irreparabel geschädigt sei. Neuere Forschungen zeichnen ein anderes Bild. Können Sie etwas dazu sagen?
Wie erwähnt, konnten holländische Forscher nachweisen, dass mit der Kniegelenkdistraktionstechnik der Knorpel unter idealen Bedingungen wieder vollständig regenerieren kann auch in Gebieten, wo vorher Knochen auf Knochen rieb.
Besteht in dem Fall begründete Hoffnung auf eine Heilung der Arthrose?
Ja. Viele erfolgversprechende Therapieansätze haben aber die Marktreife noch nicht erreicht. Auch die Kniegelenkdistraktionstechnik hat ihre Grenzen, kann aber bei jungen Betroffenen eine valide Option sein.
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