
Wussten Sie, dass das Herz langsamer schlägt, wenn man ausatmet, und dass Viren besser bekämpft werden, wenn wir durch die Nase atmen? Oder, dass Summen dabei unterstützt, den Vagusnerv zu aktivieren, den wir brauchen, um uns zu entspannen?
Annette Früh sagt: Der Atem ist ein Werkzeug, das immer da ist, um sich selber zu helfen. In dieser Episode von «Rheuma Persönlich» erklärt die ganzheitlich-integrative Atemtherapeutin die physiologischen und emotionalen Zusammenhänge, die helfen können, über den Atem besser mit chronischen Schmerzen umzugehen. Wer sein Praxiswissen erweitern möchte, für den gibt es viele praktische Tipps für Alltagsübungen. Die Atemübung zum Mitmachen ist ab 24min 50sek zu hören.
Jetzt anhören und abonnieren
Alle unsere Podcast-Episoden finden Sie auf Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt.
Der Atem als Spiegel des Körpers
«Unser Atem reagiert ständig auf Gedanken, Gefühle und Körperhaltungen», erklärt Annette Früh. Schmerzen, Stress oder Angst können die Atmung verändern. Oft wird sie dann flacher und schneller oder die Atemzüge werden grösser und können zu Hyperventilation führen. Dieses Muster aktiviert das vegetative Nervensystem, genauer den Sympathikus, der den Körper in Alarmbereitschaft versetzt.
«Früher war das überlebenswichtig. Heute führt es oft zu Verspannung, Erschöpfung und mehr Schmerzempfinden», erklärt Annette Früh. Dabei kann der Atem auch das Gegenteil bewirken: Wer bewusst und ruhig atmet, aktiviert den Parasympathikus, der für Erholung, Verdauung und Schlaf zuständig ist. So kann Atmung zu einem direkten Werkzeug der Selbstregulation werden, gerade für Menschen mit chronischen Schmerzen.
Mit dem Atem haben wir einen direkten Einfluss auf etwas, das sonst automatisch abläuft.
Annette Früh, Atemtherapeutin
Zwerchfellatmung und die Kraft der Ruhe
Die Zwerchfellatmung ist eine einfache und wirkungsvolle Methode, um Körper und Geist in Balance zu bringen. Das Zwerchfell ist der wichtigste Atemmuskel im Körper, er trennt den Brustkorb mit dem Herz und der Lunge vom Bauchraum. Beim Einatmen mit der sogenannten Zwerchfellatmung, geht das Zwerchfell nach unten und schiebt die Bauchorgane vor sich her, wodurch sich der Bauch sanft nach aussen bewegt. Eine effiziente Zwerchfellatmung stabilisiert die Wirbelsäule, unterstützt eine aufrechte Haltung und beruhigt das Nervensystem.
Wenn wir länger ausatmen, beruhigen wir Körper und Geist. Das senkt die Herzfrequenz und mindert Stress.
Annette Früh, Atemtherapeutin
Das Schmerzempfinden positiv beeinflussen

Menschen mit chronischen Schmerzen atmen unbewusst oft mit einer flachen und schnellen Brustatmung. Diese sogenannte «Schonatmung», welche oft von einer Schonhaltung begleitet ist, kann das Schmerzempfinden noch verstärken und zusätzliche Symptome hervorrufen. Gezielte Atemtechniken, zum Beispiel das entschleunigte Atmen mit vier Sekunden einatmen und sechs Sekunden ausatmen, können diesen Kreislauf durchbrechen und das Schmerzempfinden positiv beeinflussen.
In der Atemtherapie lernen Betroffene ihre Körperwahrnehmung zu stärken, indem sie z.B. ihre Aufmerksamkeit auf eine angenehme Körperstelle richten. So entsteht Distanz zum Schmerz, und das Körperbewusstsein verändert sich. «Das Pendeln zwischen schmerzhaften und neutralen Körperzonen kann helfen, wieder Verbindung und Vertrauen zum eigenen Körper aufzubauen», sagt Annette Früh.
Achtsamkeits- und Atemübungen im Alltag
Nicht jede Übung muss viel Zeit in Anspruch nehmen: Ein paar bewusste Atemzüge vor dem Einschalten des Autos, an der Ampel oder in der Warteschlange können bereits helfen. Wer viel sitzt, kann beim Einatmen den Bauch berühren und beim Ausatmen bewusst die Schultern senken. Auch Bewegung unterstützt die Atmung und reguliert somit das autonome Nervensystem. Etwa durch Atmen im Rhythmus des Gehens: drei Schritte einatmen, sechs Schritte ausatmen.
Eine einfache Technik ist ausserdem die Lippenbremse: Sanft durch die Nase einatmen und langsam durch leicht geschlossene Lippen ausatmen. Die Ausatmung wird so verlängert, der Herzschlag verlangsamt sich und der Vagusnerv, ein wichtiger Teil des Parasympathikus, wird aktiviert. So kann sich der Körper erholen und neue Ruhe und Energie tanken.
Es gibt viele wohltuende Achtsamkeits-, Atem- und Körperübungen, die unserem Nervensystem helfen können, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Entscheidend ist dabei nicht, möglichst viele Übungen hintereinander auszuführen, sondern sich Zeit zum Nachspüren zu nehmen, dem Körper Raum zu geben und das Erlebte in Ruhe aufzunehmen und zu integrieren.
Der Atem ist ein Werkzeug, das immer bei uns ist. Er hilft, zur Ruhe zu kommen und neue Energie zu schöpfen.
Annette Früh, Atemtherapeutin
Hinweis
Bei starken Schmerzen, Herz- oder Lungenerkrankungen sollte vor neuen Atemübungen eine ärztliche Fachperson konsultiert werden.
Eine qualifizierte Atemtherapeutin oder ein qualifizierter Atemtherapeut lassen sich an einer fundierten Ausbildung, beispielsweise über das EMR-Register anerkannter Komplementärtherapeut*innen erkennen.
